Erzählcafé: „Die Neubauwohnung war ein Segen für uns!“
Jena Winzerla. Die Anfänge im Neubaugebiet Winzerla standen im Blickpunkt des ersten Erzählcafés am 10. März. Um die 30 Gäste, vor allem ältere Bürger*innen, drängten sich in die Begegnungsstätte der WG „Carl Zeiss“ in der Ernst-Zielinski-Straße. Brunhilde und Johannes Möbius als Erstbezieher erinnerten sich an „viel Schlamm, Staub und Dreck“ im Sommer, ein Ärgernis für die Erwachsenen, aber ein Paradies für die Kinder. All jene, die zu Wort kamen, betonten, welch Segen eine Neubauwohnung für sie war. Etwa Familie Möbius, die in Zeulenroda in einer Miniwohnung gelebt hatte, mit Klo übern Hof. „Auf einmal hatten wir Fernwärme, eine Küche mit Fenster und ein Bad“, erzählte Johannes Möbius. Aus heutiger Sicht sei zudem die Miete lächerlich gering gewesen: insgesamt gut 120 Mark waren zu berappen, mit 52,89 war die Grundmiete der höchste Posten, gefolgt von 31,90 Mark für die Heizung. Hingegen kostete die Gemeinschaftsantenne nur eine Mark im Monat. Als Einkaufsmöglichkeiten habe es das Einzelhandelsgeschäft Kunze gegeben und einen Konsum gegenüber der „Weintraube“, erst später sei die Kaufhalle gebaut worden. Johannes Möbius erinnerte sich zudem an einen Bestell- und Bringedienst des Großhandels, der seinen Sitz am Spitzweidenweg hatte: „Es gab einen Katalog und die kamen dann einmal die Woche.“
Isolde Prax, die als Gemeindepädagogin in Winzerla tätig war, erzählte, dass sie bei den Hausbesuchen oft freundlich empfangen worden sei: „Ich bin nie respektlos behandelt worden!“ Es habe überraschend viele interessierte Menschen gegeben, so Isolde Prax. Zahlreiche fleißige Helfer packten mit an, als ein Gemeinderaum entstehen sollte. Dort seien Kinderstunde und Christenlehre angeboten worden. Jedoch, nach dem 6. Schuljahr leerten sich die Reihen: „Die Konfirmation wollten nur wenige mitmachen.“ Richard Prax relativierte die Aussagen seiner Frau etwas. Er erinnerte daran, dass die Kirche in der DDR als „schwarze Reaktion“ bezeichnet worden war, dass Telefone abgehört wurden. „Ein kirchlicher Beruf war auf keinen Fall ein unpolitischer Beruf“, sagte Prax.
Dr. Walther Klemm, lange Jahre Vorsitzender des Wohnbezirksausschusses in Winzerla, kam ebenfalls zu Wort. Das Ziel des Ausschusses sei es in erster Linie gewesen, passable Wohnbedingungen herzustellen. Relativ schnell sei die Infrastruktur entstanden, etwa neue Schulen errichtet worden. Gemeinsam mit vielen ehrenamtlichen Helfern seien beispielsweise Bäume im Wohngebiet gepflanzt worden. Walther Klemm sagte, er habe an der Jenaer Universität gearbeitet, auch über die Arbeitsstelle die Wohnung erhalten. Später, mit dem Ende der DDR, sei der Wohnbezirksausschuss aufgelöst worden.