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Ein spannendes und bewegtes Leben

Jena Winzerla. Erzählcafé mit Babayan
Jena Winzerla. Erzählcafé mit Babayan

Jena Winzerla. Samvel Babayan kommt aus Armenien und schon alleine über die Geschichte lässt sich viel berichten. Armenien, einst Teil des Osmanischen Reiches, ab 1922 der Sowjetrepublik einverleibt und seit 1991 unabhängige Republik Armenien. Neben den riesigen Landverlusten hat Armenien auch über 1.5 Millionen Menschen durch den Völkermord 1915 verloren. Damals sind viele in den Iran geflohen, so auch die Mutter seines Vaters, der in Teheran geboren wurde. In den 1960er Jahren wurde eine große Rückrufaktion propagiert, in dem alle ehemaligen Armenier aufgefordert wurden, in „ihr“ Land zurück zu kehren. 1962 folgte der Vater dem Aufruf. Er war Schuhmacher von Beruf und hatte ein eigenes Geschäft in Teheran mit sieben Mitarbeitern. Das Einzige, was er mitgenommen hatte, so Babayan, war seine Singer-Nähmaschine. Samvel tritt nicht in die Fußstapfen des Vaters. Er entschließt sich zum Militär zu gehen und wird Artillerie-Offizier. Kurz nachdem er geheiratet hat, seine Frau kommt übrigens aus Georgien, erhält er 1988 das „Privileg“, seinen Militärdienst für fünf Jahre in der DDR zu absolvieren. Er wird in Weißenfels stationiert. Die von Gorbatschow eingeleiteten Prozesse Glasnost und Perestroika laufen zu dieser Zeit bereits. Die Zukunft für Samvel Babayan ist ungewiss. 1990 wird die Tochter in Weimar geboren. Gesundheitlich ist sie beeinträchtigt, unter anderem ist sie blind. Da ihm ein Dienst nach dem anderen verordnet wird, und er sich gleichzeitig nicht angemessen um die Tochter kümmern kann, quittiert er schließlich den Militärdienst. Dank der Umbruchszeit war das möglich. Asyl, so bekommt er zu hören, gibt es für die Familie Babayan nicht. Dennoch ist er entschlossen hier zu bleiben. Von Halberstadt über Tambach-Dietharz führt ihn der Weg nach Jena, denn laut Computer ist dies der Zielort für Armenier. Es folgen neun Monate Aufenthalt im Asylheim am Stern im Jenaer Forst. Eine entbehrungsreiche Zeit, „500 bis 600 Leute, übervoll, es wurde geklaut, sich geschlagen“, und vor allem musste die kranke Tochter medizinisch versorgt werden. Das Asyl wurde abgelehnt, doch dann durften sie bleiben, aus „humanitären“ Gründen. Der Weg aus dem Asylheim gestaltete sich ebenfalls schwierig. Wohnung und Arbeit bedingten sich und er bekam zu hören: „Du kannst eine Wohnung haben, wenn du eine Arbeit hast und du kannst arbeiten, wenn du eine Wohnung hast“. Eine Arbeit zu finden war auch nicht einfach. Doch auch diese Hürde schaffte er 1995 und arbeitete in einer Reinigungsfirma. Eine Wohnung findet die Familie im Melanchthonhaus. In der dortigen Gemeinde eignet er sich selbst Sprachkenntnisse an, denn einen Sprachkurs gibt es für ihn bzw. seinen Status nicht. 2004 beginnt wiederum ein neuer Abschnitt, er arbeitet in mehreren Asyl- bzw. Gemeinschaftsunterkünften bis er 2011 Leiter der Gemeinschaftsunterkunft in der Schulstraße in Jena Ost wird. Bewegend ist nicht nur seine Geschichte, auch die geschilderten Verhältnisse der Familie seines Bruders in Armenien. Das letzte Mietshaus auf dem Berg, die Stadt liegt 1350 m über NN, „die Wohnung ohne Heizung, Toilette im Keller, nur eine Kloschüssel mit Schlauch, die sind immer krank und erkältet… ein Holzofen, der mehr reinzieht als raus“, beschreibt er die dramatischen Zustände. Schockiert von den Eindrücken nimmt er seine Ersparnisse und kauft ihnen eine Wohnung. Doch diese hat auch keine Heizung. Die Heizung wurde verkauft. Alles was in Geld umgewandelt werden kann, wird verkauft. Es klingt nach dem „Ausverkauf“ Armeniens. Er fügt hinzu, dass zurzeit viele Immobilien durch Iraner gekauft werden. Diese Geschichte relativiert die alltäglichen Nöte. Dass nicht nur mich das Erzählte bewegt hat, erlebte man an der anschließenden Diskussion in Kleingruppen. Und danke an Frau Babayan, die heimatliche Spezialitäten aus Armenien und Georgien kredenzte, die sich die Besucher schmecken ließen. Das nächste Erzählcafé findet am 06.04. statt.

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